Das akademische oder wissenschaftliche Publizieren ist der am stärksten industrialisierte, digitalisierte und damit innovativste Sektor im Verlagsgewerbe – und der Bereich, dessen Geschäftsmodell am heftigsten politisch angegriffen ist. Die Berliner Konferenz (20./21. Jan. 2009) versammelte wieder ungefähr 180 der fortschrittlichsten Köpfe zu angeregtem Austausch.

Open Source – Open Access – Open Science

Im Softwarebereich mit den Beispielen Linux, OpenOffice, Typo3, MediaWiki längst ein Erfolgsmodell, drängt die freie Zugänglichkeit von Inhalten auch im Wissenschaftsbereich immer mehr in den Vordergrund. Als Reaktion auf die Zeitschriftenkrise zu Beginn des Jahrtausends forcierte die Politik den freien Zugang zu Forschungsergebnissen mit dem Argument: Wissen (Forschungsergebnisse), das bereits öffentlich bezahlt ist (Forschungsmittel, Professorengehälter …), müsse frei zugänglich sein – und könne nicht kostenlos an Verlage gegeben werden, von denen die Institutionen wie Max-Planck-Gesellschaften und Universitäten ihre eigenen Forschungsergebnisse in Form von teuren Zeitschriftenabos wieder zurückkaufen müssten. So war den auch der erste Konferenztag hauptsächlich den politischen Entwicklungen gewidmet. OpenAccess bedeutet dabei, dass die Zeitschriftenartikel kostenlos gelesen werden können. Die Publikationskosten werden durch sogenannte PageCharges gedeckt; gewissermaßen eine Variante des „Druckkostenzuschusses“ .

In den beiden den beiden ersten Sessions am Vormittag und am frühen Nachmittag ging es daher um Initiativen der EU, die nicht nur den OpenAccess-Gedanken weiter verfestigen, sondern auch ausweiten. Nicht nur die Forschungsergebnisse sollen online für alle zur Verfügung stehen, sondern auch die Forschungsmaterialien, damit die Auswertungen der Forscher auch von anderen Forschern nachvollzogen werden können. Hier zeigt sich, wie die europäische Forschungspolitik sich von der amerikanischen absetzt, die eine starke Bindung an die Industrie („Drittmittel“) kennt und weiter fördert. Die Zusammenarbeit der bisherigen Beteiligten (Verlage, Fachgesellschaften, Repositorien) soll über Communities wie SPIRES oder der CERN Invenico-Plattform gefördert werden.

Am späten Nachmittag gab es dann Vorträge zur Evaluation von Forschung, die besonders über die Zugriffszahlen auf Zeitschriftenartikel gemessen wird und damit für Verlage interessant ist. Hier ist tatsächlich noch der Verlag gefragt, der eine Zeitschrift, selbst wenn sie OpenAccess ist, zur meist zitierten machen muss. Dabei gibt es naturgemäß einen lebhaften Streit über die „richtige“ Messung – und wie man sie manipuliert. Ein spannender Einblick in die Trickkiste – und auch ein Punkt, mit dem die „Herstellungsabteilung“ zu tun hat. Nicht die bunte Verpackung zählt hier, sondern die raffinierte Verlinkung und Anreicherung mit Metadaten; Stichworte sind COUNTER, Impact Factor, Hirsch-Faktor, www.publishingresearch.net, Semantic MediaWiki, RDF-Tags.

Zu Abschluss des ersten Konferenztages gab es vor dem glanzvollen Dinner noch einen Blick in die gerade online gegangene europäische Bibliothek www.europeana.eu. Auch hier wird Kulturgut ohne Verlage und kostenlos verbreitet.

Neue Medien und Geschäftsmodelle: OpenBooks, Videolectures

Vor allem der zweite Konferenztag diskutierte Innovationen die Seite www.videolectures.com, einer Seite mit Vorlesungen aus aller Welt zu allen möglichen Themen. Daneben noch gab es noch Berichte über DAISY, ein Hörbuchformat für Blinde, das wesentliche Grundlage für das aktuelle E-Book-Format epub geworden ist, sowie eine Session über Langzeitarchivierung. Spannend wurde es noch einmal beim Thema von Open Books, also Büchern, die frei verfügbar sein sollen. Über diese wird nachgedacht, da sich OpenAccess-Zeitschriften im geisteswissenchaftlichen Bereich (HSS – Humanites, Scocial Sciences) nicht so gut durchsetzen wie im naturwissenschaftlichen Bereich (STM – Science Technology Medicine) – denn für einen Geisteswissenschaftler gehört es sich, ein Buch zu schreiben. Ein Vorreiter ist hier der neu gegründete Verlag Bloomsbury Academic, bei dem die Harry-Potter-Millionen nun sinnvoll angelegt werden. Spannend ist dabei vor allem, wie Autoren für das das OpenAccess-Buch begeistert werden können. Dieser dürfte in den Zusatznutzen liegen, da das Buch gut verlinkt wird, also viel gelesen wird und dass zusätzliche Medien im Netz veröffentlicht werden können, also die Integration von Videos, 3-Modellen und interaktiven Elementen etwa des E-Learnings (Online-Tests usw.). Außerdem kann über Redaktionssysteme die Zusammenarbeit zwischen Autoren vereinfacht werden, wenn ein Buch mehrere Autoren hat, wie dies bei Fachbüchern oft der Fall ist. Allerdings steckt diese Entwicklung noch etwas in den Kinderschuhen: Es gibt noch gar keine echte Untersuchung über die Bedürfnisse von Autoren. Was aber bestimmt bald kommen wird, weshalb ich mit Spannung die nächste APE erwarte.

Google als Buchhändler?

Ein Highlight der Konferenz war die Präsentation der Macher des Google Book Settlements, also der amerikanischen Authors Guild (gewissermaßen eine Mischung von VG Wort und Schriftstellerverband). Google war verklagt worden, da auch Bücher eingescannt wurden, deren Copyright nicht abgelaufen war – daraus hat Google im gerichtlichen Vergleich ein Geschäft gemacht: Die Autoren (und ggf. auch Verlage) von vergriffenen Büchern erhalten eine Vergütung dafür, dass ihre Bücher online von Google gezeigt werden können – sozusagen eine digitale Variante der Fotokopierabgabe bei der VG Wort in Deutschland. So bietet das Internet neben dem Verlust von Geschäftsmodellen auch wieder neue. Was sich jedoch zeigt ist, dass der Kontakt zwischen Autor und Leser immer direkter wird und die Verlage ihre Machtposition in der Mittlerrolle immer mehr verlieren.

Bedeutung für Verlage und besonders die Verlagsherstellung

Verlage können sich in dieser Situation nur transformieren: Reine Wissenschaftsverlage wie bisher, nur mit elektronischen Zeitschriften, wird es kaum mehr geben. In den Naturwissenschaften ist das schon der Fall, in den Geisteswissenschaften wird es noch wenige Jahre weitergehen, denn dort ist das wichtigste Veröffentlichungsmedium nicht der Zeitschriftenartikel, der sich relativ leicht veröffentlichen lässt, sondern das Buch. Und das lässt sich noch nicht ohne Weiteres durch die vollautomatisierten Produktionssysteme durchschleusen. Doch auch hier ist das OpenAccess-Buch gefordert und wird auch die nötigen Produktionswerkzeuge hervorbringen. Weiterhin geben wird es die Fachverlage, die eine bestimmte Community nicht nur mit gedrucktem, sondern auch mit Online-Diensten, Community-Dienstleistungen, Kongressorganisation etc. versorgen. Und am Buchhandel geht sowieso alles vorbei, da die Distribution über das Internet läuft. Und mit dem Projekt der Europeana zeigt sich die Kulturvermittlung ohne Verlage – die Museen gehen hier Wege ohne Verlage.

Also viele Herausforderungen, neue Arbeitgeber für Verlagshersteller, vor allem ein gewandeltes Bild des Verlagsherstellers: Viel mehr raffiniertes Datenmanagement als noch mehr tolle Oberflächenveredelungen. Das Geschäftsmodell der Verlage (mit Ausnahme der Belletristik-Verlage) wird von Seiten der Politik scharf herausgefordert.

Das Programm der Konferenz kann auf der Webseite www.ape2009.eu eingesehen werden, dort finden sich auch ein ausführlicherer Konferenz-Kurzbericht (auf Englisch) und und die Präsentationen.

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