Gemälde von Konrad Zuse at dOCUMENTA (13)

Gemälde von Konrad Zuse

Statt sozialer Medien und elektronischem Publizieren diesmal kUNST – wie die dOCUMENTA 13 es schreiben würde. Natürlich lassen sich dort auch für Technikfreaks spannende Entdeckungen machen: Dass Konrad Zuse, der Erfinder des Computers, auch gemalt hat, war mir neu. Stilecht im Kassler Technikmuseum (der Orangerie) hängen dort neben einer Z23 ungefähr 15 Gemälde an der Wand.

Computer Z23 von Konrad Zuse at dOCUMENTA (13)

Computer Z23

Im Ausstellungskern, genannt the „Brain“, in der Rotunde des Museum Fridericianum findet sich außerdem ein Modell eines Teiles der Z1. Im Stockwerk darüber demonstriert der Wiener Experimentalphysiker Anton Zeilinger mit eindrücklichen quantenmechanischen Experimenten Fernwirkungen – unter anderem die Zukunft der Computerei, die Quantencomputer.
Doch das war es dann auch schon mit Technik. Den umfänglichen, aber sehr informativen Katalog gibt es nICHT als ebook oder App – dafür aber eine iPhone-App, die 700 (!) MB Speicher haben will und sich uns nicht recht erschlossen hat. Dafür gibt es einige der Bändchen über einzelne Künstler auch als epub; leider nicht für den Kindle.
Ich bin vor allem mit der Frage hingegangen, ob die dOCUMENTA sich bei ihrem so akzentuiert politischen Anspruch auch mit den Auswirkungen von sozialen Netzwerken und Internet beschäftigt. Das scheint aber nicht in das Konzept der bildenden Künste zu passen – also zu wenig Sinnliches, Bildhaftes hervorzubringen – so dass ich mich dann ganz auf die übrigen Installationen einlasse.
Ein besonderer Schwerpunkt gilt der Filiale der dOCUMENTA in Kabul, Afghanistan. Die Documenta 13 soll ähnlich wie die erste Documenta in Kassel 1955 die mit dem Wiederaufbau beschäftigte Bevölkerung bei der Neuorientierung unterstützen.

Susan Hiller's Song Book at dOCUMENTA (13)

Susan Hiller’s Song Book

Die Künstlerin Mariam Ghani zeigt ein Video über die Ruine des Darul-Aman-Palastes bei Kabul, in dem der reformfreudige König Amanulah Khan im obersten Stockwerk ein Parlament einrichtete. Leider hat er mit der Geschwindigkeit der Reformen sein Volk etwas überfordert. Gleichzeitig mit dem Video, das durch die Palastruine führt, wird ein Video über den Wiederaufbau des Museum Fridericianum, indem das Video abgespielt wird, gezeigt. Sehr beeindruckt hat mich auch der riesige Teppich (ca. 10 m breit) mit einem fotorealistischen Abbild der Kabuler Palastruine Bagh-e Babur im obersten Stockwerk der Rotunde, den die polnische Künstlerin Goshka Macuga für die dOCUMENTA fertigte – ein Teppich mit Motiven aus Kassel hängt gleichzeitig in Kabul.
Das Thema des Krieges nimmt auch der algerisch-französische Künstler Kader Attia mit seiner Installation „The Repair“ auf, die lauter Gegenstände aus Afrika zeigt, die aus Patronen- und Granathülsen gefertigt sind, z.B. kleine Kruzifixe aus Patronen. Daneben stellt er Fotos von Gesichtern von Veteranen des ersten Weltkrieges aus, die nach plastischen Chirurgien grässlich entstellt sind.

Korbinian Aigner, Korbiniansapfel / KZ-3 | dOCUMENTA (13)

Korbiniansapfel

Ein ganz anderer Aspekt des zweiten Weltkrieges, die NS-Konzentrationslager, wird unter anderem von einer Wand voller Apfelzeichnungen repräsentiert. Der „Apfel-„Pfarrer Korbinian Aigner züchtete im KZ Dachau Apfelsorten. Die Sorte KZ-3 wurde später in Korbiniasapfel umbenannt und ein Baum davon anlässlich der Documenta in der Karlsaue gepflanzt.

Zwei tote Tsetse-Fliegen | Pratchya Phintong at dOCUMENTA (13)

Zwei tote Tsetse-Fliegen

Ein moderner Krieg wird gegen die Tsetse-Fliege geführt, welche die tückische Schlafkrankheit überträgt, der jedes Jahr ungefähr so viele Menschen zum Opfer fallen wie durch Kriege getötet werden. Im zugehörigen Raum hat der thailändische Künstler Pratchaya Phinthong eine Vitrine aufgestellt, die lediglich zwei Fliegen enthält, ein Männchen und ein trächtiges Weibchen. Friedlich, aber tot, beieinander liegend. Führt die Tsetse-Fliege einen Krieg gegen die Menschen oder die Menschheit einen gegen die Fliege? Dürfen wir eine Tierart ausrotten, weil sie ein Bakterium überträgt?

Amerikanische Galgen | Sam Durant at dOCUMENTA (13)

Amerikanische Galgen

Die zwei Tage vergingen wie im Flug und beeindruckend fand ich auch die Sahrawi-Frauen, die mit ihrem Zelt gegen die Kolonisation der Westsahara kämpfen, die klettergerüstartige Installation aus amerikanischen Galgen von Sam Durant, die Zeitbank von e-flux und die Protest-/Revolutionslieder-Jukebox von Susan Hiller mit dem leider gerade vergriffenen Song-Book.

Zeit-Bank | e-flux auf der at dOCUMENTA (13)

Zeit-Bank | e-flux auf der at dOCUMENTA (13)

Aber es gab nicht nur Dramatisch-Aufrüttelndes zu sehen, sondern auch die Kunst der Ironie zu bewundern, nicht nur in der parallelen Caricatura-Ausstellung im Hauptbahnhof. Wir besuchten das SANATORIUM, eine Aktion des mexikanischen Künstlers Pedro Reyes. Eine Gruppe von zwanzig weißbekittelten Kunststudenten bietet in einer Hütte auf der Karlsaue dem modernen therapiebedürftigen Menschen eine Reihe neu entwickelter „soziatrischer“ Therapien an.

Zum Beispiel „Goodoo“, die Umkehrung von Voodoo: An eine Puppe, die einen anderen Menschen repräsentiert, werden lauter Glückssymbole angehängt . Bei „Cityleaks“ schreibt man ein persönliches Geheimnis auf einen Zettel und bekommt dafür das Geheimnis eines anderen Menschen ausgehändigt – und erfährt so, dass er mit seiner Scham nicht allein ist.

Philosophical Casino | Pedro Reye's Sanatorium at dOCUMENTA (13)

Philosophical Casino

Im „Philosophical Casino“ gibt es riesige Würfel und Kreisel, mit dem der geplagte Mensch sich Rat für sein Leben besorgen kann. Die Freundin und ich entschieden uns für den Partnership Compatibility Test.

Partnership Compatibility Test | Pedro Reye's Sanatorium at dOCUMENTA (13)

Partnership Compatibility Test

Unter Aufsicht des Arztes sucht jeder Partner sich aus einer großen Auswahl aus Gemüse und Obst ein Gemüsestück oder eine Frucht aus, die ihn selbst repräsentiert und eine, die den Partner repräsentiert. Jeder Partner erläutert dem Arzt seine Auswahlkriterien und wenn die Partnerschaft dann nicht spontan beendet ist, fertigt der Arzt aus den vier ausgewählten Früchten einen Smoothie. Wir hatten viel zu lachen – allen dreien hat der Smoothie wohl gemundet.

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