Beim zweiten Kolloquium versammelten sich diesmal gut 35 Interessierte im Berlin-Dahlemer Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte. Es gab zwei Vorträge zur Verbindung von Geschichtsforschung und Geografie. Das nächste Treffen soll voraussichtlich schon in drei Wochen sein und es soll ein Veranstaltungsort in Berlin-Mitte gefunden werden, um die Anreise zu erleichtern. Der erste Vortrag drehte sich um ein geniales Online-Tool für geografische Forschungen von Historikern:

Mappit: Werkzeug für geografische Analysen

mappit ScreenshotDagmar Schäfer, Forschungsgruppenleiterin im genannten Institut, berichtete unter dem Titel Von mindmaps zu Daten-mapping: wie digitale Medien die sinologische Forschung veränderten insbesondere über die im Institut entwickelte Software Mappit (map Places In Time), die als reine Webanwendung programmiert ist und auch anderen Forschern offen steht. Kurz gesagt kann ein Wissenschaftler mit diesem Tool mehrere Excel-Tabellen mit Geokoordinaten hochladen und die darin enthaltenen Punkte auf einer Karte (auf Google-Maps-Basis) vergleichen. Dr. Schäfer führte dies an einem Beispiel aus gegenwärtigen Projekt vor: Sie hatte einen Liste von Orten mit bestimmten Eigenschaften erstellt und hat diese mit einer aus dem CHGIS von Harvard verglichen. So konnte sie sehen, wo es Überschneidungen bzw. Deckungsgleichheiten gab.

Im Beispiel verglich sie Orte der Yuan-Dynastie (1279-1368), in denen es laut Gewerbe-Stele ein „Dokumentationsbüro“ gab, mit Daten über Städte aus dieser Zeit (aus verschiedenen Datenbanken) und fand so Hinweise, dass dieses „Büro“ – wohl eine Verwaltungseinrichtung – ein Hinweis darauf ist, dass es sich bei der Ortschaft um eine Stadt gehandelt hat.

So lassen sich auch Tabellen aus literarischen Texten, z.B. Reiseberichten, mit Geolokationen aus anderen Forschungen in verschiedenen Layern übereinanderlegen und es lässt sich mit einem Blick erkennen, ob es irgendwo Übereinstimmungen gibt, selbst wenn Orte den Namen oder zumindest die Schreibweise gewechselt haben.

Zusätzlich kann auch nach Zeiträumen differenziert werden. Alles in allem ein ausgesprochen spannendes und extrem einfach zu bedienendes Werkzeug, das das MPI hier der Forscherwelt zur Verfügung stellt. Ein Gast-Login mitsamt Test-Dateien zum Ausprobieren ist freigeschaltet, es gibt noch viel mehr Features zu entdecken, die ich hier nicht beschreiben habe. Soweit der erste Vortrag.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch das GeoTagging von COSIS.net, das Georeferenzen zu Publikationen aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenbringt und damit interdisziplinäre Forschung ermöglicht. Eine andere Verknüpfung von Forschungspublikationen und Geodaten gibt es z.B. bei Pangaea, einer Datenbank für geologische Bohrproben, die zu den entsprechenden Artikeln in Publikationsdatenbanken verlinkt.

Wem fallen ähnliche Anwendungen ein – das wäre mal einen eigenen Blog-Artikel wert.

Der Behaim-Globus in Informatikerhand

Günther Görz, Professor für Informatik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und derzeit Gastforscher am Dahlemer Institut berichtete über seine Forschungen zum Behaim-Globus unter dem Titel Semantische Tiefenerschließung mittelalterlicher (Welt-) Karten am Beispiel des Behaim Globus (1492).

Der ältestes erhaltene Globus der Welt im Germanischen Nationalmuseum enthält nicht nur wie heutige Globen entweder Informationen zur Lokation von Ländern und Städten, also politische Daten, oder topografische Daten über die geologische Beschaffenheit der Erde. Er kombiniert eine Reihe unterschiedlicher Informationen aus heute gewöhnlich getrennt dargestellten Wissensgebieten wie der Biologie (Tierarten, Pflanzen), touristischen Informationen, Gewürzen und anderen Handelsgegenständen, Religionen – es finden sich auch allerlei Miniaturen (auch Monster, Kuriositäten und Wunder) sowie 50 längere Inschriften (z.B. Marco-Polo-Zitate, Strabo) von mindestens 6 verschiedenen Händen.

Im aktuellen Forschungsprojekt soll der Globus neu digital fotografiert werden, möglichst mit Multispektraltechnik und ggf. weiteren Verfahren, denn es gibt bisher nur analoge Aufnahmen aus den 90er Jahren. Im nächsten Schritt entsteht eine Ontologie des Globus, er wird also maschinenlesbar semantisch und semiotisch beschrieben werden, um ihn dann aus verschiedenen Perspektiven befragen zu können.

Für diese Beschreibung wird die Referenzrahmen CIDOC CRM genutzt werden: das Conceptual Reference Model des Conseil International des Musees, eine inzwischen zum ISO-Standard 21127 erhobene Sammlung von Klassen zur Beschreibung von Museumsobjekten, das unter anderem schon im Nürnberger Germanischen Nationalmuseum verwendet wird. Durch diese objektorientierte Beschreibung eines Gegenstandes und seiner Eigenschaften und Bezüge wie Typ, Orte (Entstehung, Fund, Ausstellung …), Maße, seiner Events (Herstellung, Ergänzung, Auffindung, Restaurierung …), Akteure (Auftraggeber, Hersteller, Käufer …) usw. gelingt es, Museumsgegenstände so zu beschreiben, dass Sie anderen Datenbanken, Suchmaschinen, Repositorien zugänglich gemacht werden können, z.B. für den Export zur Europeana, wie ihn Marlies Olensky beschrieben hat (Danke für die eindrückliche Grafik!). Soweit der Vortrag.

Eine knappe, leicht verständliche deutschsprachige Darstellung des mit CIDOC CRM verwandten LIDO-Formates durch Regine Stein und Gisela Schulte-Dornberg findet sich übrigens hier.

Der Globus ist ein frühes Zeugnis für das Bestreben, Information georeferenziell anzuordnen, was wir auch aus der Blütezeit er Kartografie des 19. Jahrhunderts kennen – und was wir gerade in neuer Dimension mit LBS (location based services) und mobile Internet ein echtes Trendthema ist – wie oben angemerkt, auch in den Wissenschaften.

Alles in allem war es wieder ein lehrreicher Abend und ich bin gespannt auf die Fortsetzung.

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